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Fawriel

JCF Éminence Grise

Joined: May 2002

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Fawriel is doing well so far

May 18, 2008, 09:15 AM
Fawriel is offline
Thanks.

I'll copy the original version here. It lacks the fancy formating, but, yeah.


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Drei Sekunden

Seit er aus den Höhlen gekrochen ist und das Licht der Welt erblickt hat, gibt es für den Menschen keine grausamere Herrin als das Schicksal.
In seiner stolzen Verzweiflung erschaffte er Hoffnungen und Träume, Werte und Regeln, Kunst und Kultur, um die Leere zu füllen.
Doch das Schicksal ist ein ganz fürchterlich langweiliger Autor ohne Gefühl für diese Ästhetik, und so kann es dazu kommen, dass ganz undramatisch eine Katastrophe geschieht wie der Wechsel von Tag und Nacht, dass ein Engel durch einen dummen Zufall seine Flügel verliert und stürzt.



23. Dezember 2007, 11 Uhr 59, 10 Sekunden und 02 Millisekunden:
Als Fräulein Jaime F. beim Fensterputzen einen Anruf auf ihrem Mobiltelefon erhält, kommt es durch eine Serie unbedeutender Zufälle dazu, dass sie das Gleichgewicht verliert und aus dem Fenster stürzt.
Ein naher Bekannter der Jaime F., der sich gerade auf dem Weg zu ihrer Wohnung befindet und besagten Anruf zu verantworten hat, vernimmt über das Mobiltelefon ihren Schrei, blickt auf und erkennt den fallenden Körper der bekannten Person. Seine Augen weiten sich.


21. Dezember 2007

Hey Tagebuch.
Ich wünschte, ich würde langsam mal lernen, ab und zu die Klappe zu halten. Ich hab' mich heute mit Jaime gestritten. Würde zu gerne 'nen sarkastischen Kommentar darüber einfügen, dass man das kaum für möglich halten sollte, aber bin nicht in der Stimmung für sowas.
Dabei fing der Tag doch gut an! Immerhin hat sie mich bei sich eingeladen, um 'nen Film zu gucken, nachdem wir schon so oft bei mir geguckt haben. Ich wollte eigentlich einen Quentin Tarantino Streifen vorschlagen, aber sie bestand darauf, selber einen Film auszusuchen, und da konnte ich doch wohl kaum nein sagen. Na ja, und dann war es halt 'ne romantische Komödie.
Bin ja mal kein unromantischer Mensch, aber wenn die Liebe im Mittelpunkt vom ganzen Film steht, dann gehen den Schreibern irgendwie die originellen Ideen aus! Hab' mich dann halt ein wenig drüber lustig gemacht. Normalerweise versteht sie doch Spaß bei sowas, hab mir ja auch oft genug ihre Kommentare zu meinen Filmen anhören müssen! Der muss ihr wohl irgendwie viel bedeutet haben oder so...
Na ja. Auf jeden Fall muss ich mich bei nächster Gelegenheit mit ihr versöhnen. Ist doch bald Weihnachten, das wäre doch echt dämlich, wenn man da wegen so 'ner Kleinigkeit nicht miteinander redet.
Ich werd' gleich übermorgen bei ihr vorbeikommen. Vielleicht lassen mich ihre Eltern ja bis Heiligabend bei ihr übernachten... dann nehm' ich den gigantischen Teddy für sie auch direkt mit. Der muss noch eingepackt werden, fällt mir gerade ein. Dann mal los!


23. Dezember 2007, 11 Uhr 59, 10 Sekunden und 84 Millisekunden:
Der Bekannte der Jaime F. reagiert indem er auf den vorraussichtlichen Aufprallort seiner Bekannten zurennt und in der selben Bewegung seine Tasche sowie das Mobiltelefon zu Boden wirft.
In Anbetracht ihrer momentanen Position wird Jaime F. vorraussichtlich in 3 Sekunden auf den Bürgersteig aufschlagen, sich dabei mehrere Knochen inklusive des Schädels brechen und sofort tot sein. Der Position ihres Bekannten sowie seiner physischen Kondition und der Begebenheit der Strecke nach zu urteilen, wird er bei maximaler Geschwindigkeit etwa 9 Sekunden benötigen, um sein Ziel zu erreichen. Es lässt sich schließen, dass dem Bekannten der Jaime F. temporär das klare Denken verwehrt ist.


18. November 2007

Hallo Tagebuch.
“Glaubst du an Gott?” Was antwortet man auf die Frage? Ich glaube kaum, dass irgendein alter Mann im Himmel sitzt, der einfach so das Universum aus dem Nichts gestampft hat... aber ob ich daran glaube, dass es irgendwas gottartiges gibt... irgendeine Macht oder so... da habe ich nie viel drüber nachgedacht. Jaime hat mir die Frage aber heute gestellt.
Ihr Vater ist gestorben. Er war wohl sehr religiös, aber trotzdem in Ordnung. Meint sie zumindest, ich habe ihn ja nur ein, zwei Mal flüchtig gesehen.
Sie hat mehrere Minuten lang ununterbrochen von ihm erzählt, dann kamen ihr langsam die Tränen... War das erste Mal, dass ich sie weinen gesehen habe. Also hab' ich vorsichtig meinen Arm um ihre Schulter gelegt und sie hat sich ohne aufzublicken an mich gelehnt und ihre Stirn gegen meine Brust gedrückt. Und so saßen wir dann eine Weile da. Dann hat sie mir die Frage gestellt. Sie meint, wenn es Gott gibt, dann sei ihr Vater jetzt bestimmt im Himmel. Wusste erstmal nicht, was ich antworten sollte... hab dann am Ende gesagt, selbst wenn es Gott nicht gibt, lebt ihr Vater immer noch in ihr weiter.
Da konnte sie sich 'nen Grinsen nicht verkneifen und meinte, ich hätte das doch wieder aus irgendeinem Film geklaut. Das Mädel ist echt 'ne Marke.
Und dann saßen wir weiter da... Na ja, am Ende weiß ich nicht, ob ich an Gott oder sowas glaube. Ich weiß nur, dass sie jederzeit zu mir kommen kann, wenn sie nochmal 'ne Umarmung nötig hat. Und das reicht doch, oder?


23. Dezember 2007, 11 Uhr 59, 11 Sekunden und 36 Millisekunden:
Durch einen Adrenalinschub strebt der Körper des Bekannten der Jaime F. auf seine maximale Geschwindigkeit zu. Trotz ihrer Irrelevanz beim Akt des Rennens spannen sich aufgrund des emotionalen Stresses die Muskeln im Gesicht und in den Händen des Mannes an.
Wäre der Bekannte der Jaime F. rein hypothetisch rechtzeitig for Ort um ihren fallenden Körper zu empfangen, so würde er damit laut Berechnungen ihren Fall nur unerheblich bremsen, selber niedergeschlagen werden und sich dabei Verletzungen mittleren bis starken Grades zufüges.


20. Juli 2007

Hey, Tagebuch!
Heute kann ein desillusionierter Weihnachtsmann in zerlumpten Klamotten und mit Schnapsflasche in der Hand durch mein Fenster einbrechen und meine Stereoanlage klauen und mir ins Gesicht spucken, mir kann heute nichts mehr die Stimmung verderben. Jaime war das erste Mal bei mir zu Besuch, und wenn ich mich nicht täusche, war's ein voller Erfolg! Na ja, sofern ich das als Niete beurteilen kann, versteht sich. Bei 'ner anderen hätte ich mit der Nummer wohl eher keinen Erfolg gehabt. Hab sie erstmal in bester Gentleman-Art an der Tür abgeholt, sie in bester Gentleman-Art mit Britischem Akzent begrüßt und ihr die Jacke abgenommen. Und sie dann auf 'nen Haufen geschmissen. Genau in dem Moment hab ich mich auch schon dafür verflucht, direkt in der ersten Minute so 'nen blöden Gag loszulassen, aber sie hat tatsächlich gelacht. Und so ähnlich ging's dann den ganzen Tag weiter.
Der krönende Moment war natürlich der, in dem ich ihr meine vollständige Sammlung von Spiderman-Comics gezeigt hab'. “Sieht dir ähnlich zu versuchen, mit Comics ein Mädchen beeindrucken zu wollen,” meinte sie. “Hey, das sind nicht nur Comics, das ist verdammtnochmal Spiderman! Mann, Mann, die Jugend von heute, keinen Respekt vor den Klassikern!” war meine Antwort. Jaime grinste nur. Die nächste Stunde oder so haben wir darüber geredet, warum ich überhaupt so ein Fan von Superheldencomics bin. Wieso? Na ja, wieso. Das ist doch der Traum eines jeden Kerls, Superkräfte zu haben und heldenhafte Sachen zu machen und Leute zu beschützen. Am Ende sagte sie dann, und das weiß ich noch Wort für Wort: “Na gut, wenn ich dann irgendwann mal einen Helden brauche, weiß ich ja, wen ich anrufen muss.”
Mann, Tagebuch. Ich muss jetzt erstmal pennen, sonst implodier' ich noch.
Das Leben ist schön, Tagebuch. Das Leben ist schön.





23. Dezember 2007, 11 Uhr 59, 12 Sekunden und 55 Millisekunden:
Dem Bekannten der Jaime F. wird bewusst, dass er den Tod seiner Bekannten nicht verhindern kann. Trotz dessen vermindert sich seine Laufgeschwindigkeit nicht, jedoch kommt es unter dem Stress der Lage zu mehreren Aufrufen von Erinnerungen sowie gedanklichen Konflikten, die den emotionalen Stress weiter verstärken. Unter dem Einfluss besagten Stresses öffnet sich der Mund des Mannes in einem unterdrückten Schmerzensschrei.
Der Aufprall steht kurz bevor.


27. Februar 2007

Guten Morgen, Tagebuch.
Das ist mein erster Eintrag in dir. Warum fange ich jetzt mit dem Tagebuchführen an? Weil ich gestern einen unglaublichen Tag hatte, den ich unbedingt festhalten muss, weil ich Angst habe, ich könnte ihn sonst vergessen. Es war Comicbuchmesse, und ich hab' mich entschlossen, das erste Mal meinen Mut zusammenzusammeln und mit meinen selbstgemachten Comics in die Amateur-Ecke zu gehen und sie da zu verkaufen. Ich bin nicht besonders gut im Zeichnen, und schreiben kann ich auch nur so wie jeder andere, aber ich habe gute Ideen und ich bin mit Leidenschaft bei der Sache. Lässt sich auf den ersten Blick leider nicht wirklich erkennen, zumindest denke ich, das war der Grund, warum ich ziemlich miesen Erfolg hatte.
Ich habe mich schon zurückgelehnt und meine Augen ausgeruht, weil die Messe zu Ende ging und eh keiner mehr kommen würde... und da bemerkte ich auf einmal, dass da doch jemand war, der vor meinen Sachen stand und sie sich anguckte. Es war ein Mädchen. Sie tastete meine Comics mit ihren Augen ab, mit einem sanften Lächeln auf den Lippen das man fast verpassen konnte, wenn man nicht drauf achtete. Dann fing sie an, genauso sanft zu grinsen. Und dann sah sie mich an.

“Nein!”

Ich weiß nicht, ob ich es beschreiben kann, aber... die Art, wie sie mich angesehen hat, war irgendwie... als würde das Schicksal mir sagen, dass es wahre Liebe... nein... dass es Wahrheit gibt.

“Nein, nein, nein!”

“Nicht jetzt!”
“Nicht hier!”

“Nicht so!!!”






















1. Januar 2008

Hallo, Tagebuch.
Ich kann endlich wieder in dich hineinschreiben. Dabei wollte ich das schon seit einer Weile unbedingt wieder tun.
Ich liege jetzt schon seit einer Woche im Krankenhaus, wegen heftigen Schürfwunden und Knochenbrüchen. Ich weiß gar nicht mehr genau, wie ich die überhaupt bekommen habe. Mir wurde gesagt, man habe mich mit Jaime zusammen liegend vor ihrer Wohnung auf dem Bürgersteig gefunden.
Ich erinner' mich schwach an irgendwas, dass sie wegen mir aus dem Fenster gefallen ist, und ich zu weit weg war... aber das war wohl ein Traum.
Jaime lebt nämlich.
Sie hat starke Prellungen davongetragen und ist vor mir gesund geworden.
Ich weiß nicht, was an dem Tag passiert ist. Aber das ist auch egal.
Ich weiß nur, dass dieses Kapitel noch nicht zu Ende ist.
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